# taz.de -- Michael Wobbe war Spitzel des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungs- schutz. Jahrelang war der heute 23jährige als V-Mann in der inzwischen verbotenen Neonazi-Partei „Nationalistische Front“ (NF) aktiv. Im wahrsten Sinne des Wortes: Wenn der Verfassungsschutz Berichte brauchte, sollte Wobbe „was anleiern“. Er agitierte die Neonazi-Szene, machte Schulungen, verteilte Propagandamaterial. Ohne ihn wäre so manche „Kameradschaft“ gar nicht erst entstanden, behauptet Wobbe, der versteckt lebt, im Gspräch mit Annette Rogalla und Burkhard Schröder
       
       ## „Der Verfassungsschutz hat mich angestachelt“
       
       Herr Wobbe, Sie geben gerne die Story zum besten, daß Sie eigentlich gerade
       aus der Rechtsradikalen-Szene aussteigen wollten, als Sie beim
       Verfassungsschutz als Spitzel anheuerten.
       
       Michael Wobbe: Das stimmt auch. Ich wollte aus der Szene weg. Aber eines
       Tages, im Herbst 1991, standen zwei Herren in der Tür und offenbarten mir
       meine Skinheadgeschichten. Die wußten auch, daß ich schon mal Kontakt zu
       Meinolf Schönborn [Chef der 1992 verbotenen NF, der Neonazi- Gruppierung
       „Nationalistische Front“; d.Red.] gehabt hatte. Beim ersten Besuch
       erzählten sie mir das alles, dann kamen sie alle paar Wochen mit Listen
       wieder. Ich sollte ankreuzen, wen ich kannte. Dafür habe ich zwischen 100
       und 500 Mark bekommen. Nach einem Jahr fragten sie, ob ich mehr Geld
       verdienen wollte.
       
       Also war es das Geld... 
       
       Klar, das Geld hat mich verführt. Meine Ideologie ist es, zu überleben. Ich
       hab für gutes Geld einen Job gemacht, ich bin käuflich. Aber sie haben mich
       auch moralisch erpreßt. Wir hatten damals eine Gruppe gegründet, die ein
       Flugblatt der FAP [Neonazistische „Freiheitliche Arbeiterpartei“, 1995
       verboten; d.Red.] abgeschrieben hatte. Die Eltern eines Mädchens in der
       Gruppe kamen nicht damit klar, daß ihre Tochter nach rechts gedriftet war.
       Sie setzten Karen unter Druck. In den Sommerferien 1991 nahm sie sich das
       Leben. Die beiden machten mir klar, daß ich nicht ganz unschuldig daran
       sei, schließlich hätte ich die Gruppe gegründet. Ich sagte, ich will doch
       raus aus der Szene. Und dann meinten sie: „Wenn du bei uns mitmachst, ist
       das die beste Chance, etwas wiedergutzumachen.“
       
       Und diese Masche wirkte? 
       
       Ich war 18, da läßt man sich schnell auf so etwas ein.
       
       Und wie wurden Sie in Ihr Leben als V-Mann eingeführt? 
       
       Das muß im Februar 92 gewesen sein. Da bat mich „Uwe Helmbrecht“, mein
       Kontaktmann beim Verfassungsschutz, in ein nobles Chinarestaurant. Zwei
       andere Männer waren auch dabei. Es gab Wein und Shrimps. Sie drückten mir
       einen Laptop in die Hand und erklärten, ich dürfe nichts an Daten
       speichern. Einige Monate später mußte ich eine Erklärung unterschreiben,
       daß ich wahrheitsgemäß berichte und keine Straftaten begehe. Sonst würde
       das Verhältnis sofort aufgelöst. Für den Fall, daß ich „abgeschaltet“
       würde, versprach man mir eine Prämie in Höhe eines Jahresfixums pro
       gearbeitetes Jahr.
       
       Wie hoch lag Ihr Honorar? 
       
       Als Basis bekam ich erst 300, später 700 Mark im Monat, hinzu kamen Gelder
       für die gelieferten Informationen und Spesen. Ich konnte davon leben,
       brauchte mich um keinen anderen Job zu kümmern.
       
       Ihre Gegenleistungen? 
       
       Psychogramme der NF-Führungsspitze. Den Kontakt zu denen bekam ich im
       „Heide-Heim“ in Hetendorf. Das ist das Neonazischulungszentrum. Da habe ich
       14 Tage lang den Vorzeigenazi raushängen lassen. Hab' nicht gesoffen, wie
       die anderen, hab zu Schönborn immer gesagt: Ich will politisch aktiv
       werden. Der suchte gerade Leute. Also bin ich bei ihm in Pivitsheide
       eingezogen. Ich mußte fünf Prozent meines Bruttoeinkommens abgeben und an
       vier Grundschulungen teilnehmen. Nach sechs Wochen wurde ich
       Sicherheitsverantwortlicher für das Schulungshaus Pivitsheide.
       
       So eine Art interner Blockwart? 
       
       Ich hatte gute Ideen. Um Spitzel und Provokateure zu enttarnen, schlug ich
       vor, von allen Besuchern die Personalausweise zu kopieren. Das machte ich
       in doppelter Ausführung. Eine Kopie steckte ich später in einen toten
       Briefkasten am Soldatenfriedhof. Ich habe den NF-Laptop mit allen Adressen
       geplündert.
       
       Das ist aber keine Aufgabe, die einen über Jahre ausfüllt. 
       
       Als die Psychogramme von NF- Kadern, Schönborn und seinen zwei Hunden
       fertig waren, wollte der VS mehr Infos. Ich sollte Adressen von
       Kontaktleuten und unabhängigen Kameradschaftsverbänden liefern.
       
       Wie wurden Sie „Reisekader“? 
       
       Den hat der Verfassungsschutz erfunden. Als die NF verboten wurde, kamen
       auf einmal 80, 90 Briefe am Tag für Schönborn an. Ich schlug ihm vor, die
       Interessenten persönlich zu besuchen und sie auch finanziell abzuschöpfen.
       Ich sagte, wenn die uns Geld überweisen, dann sieht das der
       Verfassungsschutz, man sollte so etwas wie einen Reisekader machen. Den
       Vorschlag fand Schönborn wunderbar. Ich habe dann einen grauen Koffer mit
       unseren Schriften und Flugblättern bestückt. „Blut und Ehre“-Aufkleber
       gingen ebenso weg wie T-Shirts mit einem Fallschirmspringer des Zweiten
       Weltkriegs: „Deines Volkes Ehre ist auch Deine Ehre“. Ich war als
       Parteidrücker zweieinhalb Jahre ständig unterwegs. Bin quer durch
       Deutschland gefahren. Ich habe an Orten geworben, wo sie die NF gar nicht
       kannten. Der Verfassungsschutz wollte es so. So habe ich der Bewegung
       50.000 bis 60.000 Mark eingebracht. Der Verfassungsschutz bekam seine neuen
       Namen und finanzierte alles: Reisen, Hotels, Essen. Ich hab nicht schlecht
       gelebt.
       
       Sie wurden Spesenritter. 
       
       Abrechnungen von 5.000 Mark im Monat waren keine Seltenheit. Ich brauchte
       niemals Quittungen abzugeben, konnte sagen, ich war im teuren Restaurant,
       obwohl ich bloß eine Currywurst gegessen hatte. Ich habe einmal eine
       Jahreskarte fürs Schwimmbad abgerechnet, weil Schönborn gerne schwimmen
       ging. Ich habe mein komplettes Leben durch Spesen finanziert.
       
       Wie erklärten Sie Schönborn das aufwendige Leben? 
       
       Der Szene sagte ich, ich hätte geerbt. Mein Opa war ja gerade gestorben.
       Außerdem war ich offiziell Sozialhilfeempfänger, darüber ging meine gesamte
       Sozialversicherung.
       
       Und niemand fragte, wie Sie die Erbschaft am Sozialamt vorbeibringen? 
       
       Hat keinen interessiert.
       
       Lieferten Sie ständig neue Nachrichten? 
       
       Wenn ich eine Berichtsflaute hatte, fragte mein VS-Führungsoffizier: Was
       ist los, warum passiert nichts mehr? Los, aktivier die Leute, leier mal was
       an!
       
       Und Sie machten etwas los? 
       
       Ich hatte ja die Adressen derer, die mal was im Zentrum bestellt hatten.
       Die habe ich angerufen und gesagt, in drei Wochen komme ich, trommelt mal
       alle Interessierten zusammen. Dann bin ich zum Beispiel nach Oldenburg
       gefahren. Habe den Jugendlichen gesagt: Haut mal rein, ich schul' euch
       auch. Da entstand langsam eine unabhängige Kameradschaft, die sich ohne
       mich nie gegründet hätte. Heute sitzen die Jungs alle im Knast, die hätten
       sehr wahrscheinlich nie etwas gemacht ohne mich. Ich habe gegründet, damit
       das Amt zuschlagen kann.
       
       Das erfüllt Sie noch heute mit Stolz? 
       
       Ich war kein schlechter V- Mann.
       
       Sie hatten keinerlei Probleme, Leute in den Knast zu bringen? 
       
       Die haben ja die Sachen gemacht, nicht ich.
       
       Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Sie hätten aus den hehren Motiven des
       geläuterten Aussteigers gehandelt. 
       
       Doch. Diese Typen, die ich ans Messer lieferte, haben es nicht besser
       verdient. Deren ideologische Einstellung war doch schon da.
       
       Haben Sie sich niemals als Verräterschwein gefühlt? 
       
       Anfangs schon, aber nach einem Jahr habe ich im Kopf abgeschaltet. Wenn ich
       in der Szene war, fühlte ich mich als „Artland“ oder „Rehkopf“, wie ich mit
       Decknamen hieß. Zu Hause war ich Michael, der sich den Kopf zusoff.
       
       Von Beruf ein Anstachler? 
       
       Der Verfassungsschutz hat mich angestachelt. Ich hatte bloß prima Ideen. Im
       Mai 93 hatten wir uns Antifa-Aufkleber besorgt und die nachts auf
       Oldenburgs beste Geschäfte gepappt. Dieses „Gegen Nazis“ konnte bald
       niemand mehr lesen. Die Leute haben gesagt: Die Roten bekleben uns die
       Schaufenster. Dann sind wir hingegangen und haben mit den Jungen
       Nationaldemokraten einen Stand aufgebaut – gegen die „linken Gewalttäter“.
       Das hat prima geklappt. Ein Geschäftsmann hat uns eine Spende von über
       1.000 Mark gegeben, ist anschließend sogar beim Rudolf-Heß-Marsch dabei
       gewesen und hat zwei Handys und Funkgeräte spendiert. So etwas brachte mir
       viel Achtung in beiden Szenen ein.
       
       Der niedersächsische Verfassungsschutz sagt, Sie hätten erstklassig
       gearbeitet, seien aber wegen Ihrer Raffgier unzuverlässig geworden und
       hätten abgeschaltet werden müssen. 
       
       Im Herbst 93 war ich in Füssen. Ich hatte meine Schulungsbriefe von der NF
       verteilt, die neuen Kameraden hatten ihre Interpretationen geschrieben. Ich
       saß acht Wochen da unten und hatte nichts Neues zu berichten. Abgestiegen
       bin ich im Nobelhotel, mit Kutschfahrten und anderem habe ich mich
       amüsiert. Da waren schnell 9.000 Mark aufgelaufen. Ich konnte die
       Hotelrechnung nicht mehr bezahlen und bin verhaftet worden.
       
       62 Tage saß ich in Untersuchungshaft. Einem Beamten habe ich erzählt, ich
       sei V-Mann. Und ausgerechnet diese Aussage landete in der Prozeßakte von
       Meinolf Schönborn. Der wußte dann später, wer ich wirklich war. So etwas
       Dilettantisches hatte ich vom VS nicht erwartet. Die haben mich einfach
       auffliegen lassen.
       
       13 May 1996
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) A.Rogalla / B.Schroeder
       
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