# taz.de -- Jodeln gegen Atomkraft
       
       > ■ Zwischen Tradition und Moderne rockt Mari Boine
       
       Mari Boine kommt aus dem norwegischen Teil Lapplands, aber der Pass ist für
       sie nicht besonders wichtig. Boine ist in erster Linie eine Samin, eine
       Angehörige der Ureinwohner Skandinaviens. Doch erst spät fand sie zu diesen
       Wurzeln und zum Singen.
       
       An die Unterdrückung der Samen werden die übrigen Norweger genauso ungern
       erinnert wie die US-Amerikaner an das Schicksal der Indianer. Nicht nur
       wegen dieser Ähnlichkeit werden die Samen oft als „Indianer des Nordens“
       bezeichnet. Die Nomaden- und Jäger-Kultur der skandinavischen Urbevölkerung
       fußte auf Rentieren, auf einer eigenen Sprache und dem Schamanismus. Zur
       Kultur der Samen gehörten aber auch schon immer die an das Jodeln
       erinnernden „Joik“-Gesänge. Der norwegische Staat unterdrückte wie die
       anderen skandinavischen Länder lange diese religiös-kulturelle
       Ausdrucksform mit der gleichen Vehemenz, wie die Kirche den Schamanismus
       bekämpfte.
       
       Mari Boine wuchs christlich auf hatte wie viele andere junge Frauen im
       modernen Norwegen das kulturelle Erbe der Samen lange ignoriert. Erst durch
       ihr Engagement in der norwegischen Anti-Atom-Bewegung fand die Lehrerin zur
       rebellischen Sami-Bewegung, die gegen Atomkraft und Staudämme Widerstand
       leistete. Schnell aber verknüpfte sich der politische Protest der Samen mit
       dem Kampf um die Rückgewinnung der kulturellen Identität. Boine entdeckte
       deshalb beim Protestieren auch das Joiken wieder, und sie betrachtete diese
       Gesangsform als einen Weg, die Verletzungen der Samen durch die norwegische
       Gesellschaft zu verarbeiten.
       
       Seit zehn Jahren integriert Boine in ihrer Musik die beiden Stränge ihrer
       Biographie. Boines charakteristischer Gesang ist oft stark an das
       jubilierende Joiken angelehnt, aber auch Rock, Jazz und lateinamerikanische
       Musik gehören zu ihrer Arbeit. Das neuste Album der Mari Boine Band,
       „Blvvoslatjna“, zu deutsch der „Raum der Verehrung“, klingt, als hätte
       Sinead O' Connor in einem modernen Rockstudio das Schamanentum entdeckt.
       Tambourine und andere handgeschlagene Trommeln geben den schleichenden,
       aber intensiven Rhythmus vor. Der sanft im Hintergrund rollende Bass trägt
       die Harmonien. Die Gitarre arbeitet lange zurückhaltend mit lang klingenden
       Flageolett-Tönen, bis plötzlich überraschend hart geschlagene Rockriffs
       zuschlagen mit der Gewalt eines Karatehiebs. Dann wieder tragen nur die
       lang gehaltenen Töne von Boines Stimme und ein Händeklatschen allein ein
       Stück, nur von einer zarten Flöte unterbrochen.
       
       Die Vielfalt ist Programm und Boine erinnert dabei selbstbewußt an das
       kulturelle Erbe der Samen, ohne bei folkoristischem Nostalgiekitsch zu
       enden. Die Musik selbst lebt und belegt Protest einer Minderheit, die nicht
       nur auf der Bühne immer lauter wird. Seit kurzem covert die Band auch einen
       Song der US-Indianerin Buffy Saint-Marie. Lars Reppesgaard
       
       Mari Boine, 9. Oktober, 21.30 Uhr im Congreßcentrum
       
       8 Oct 1998
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lars Reppesgaard
       
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