19:1 Davids Klage um Abschalom: 19,1-9a Da zuckte der Koenig zusammen, stieg in den oberen Raum des Tores hinauf und weinte. Waehrend er hinaufging, rief er (immer wieder): Mein Sohn Abschalom, mein Sohn, mein Sohn Abschalom! Waere ich doch an deiner Stelle gestorben, Abschalom, mein Sohn, mein Sohn! 19:2 Man meldete Joab: Der Koenig weint und trauert um Abschalom. 19:3 So wurde der Tag der Rettung fuer das ganze Volk zu einem Trauertag; denn die Leute hoerten an diesem Tag: Der Koenig ist voll Schmerz wegen seines Sohnes. 19:4 Die Leute schlichen sich an jenem Tag in die Stadt, wie sich Leute davonschleichen, die Schande auf sich geladen haben, weil sie im Kampf geflohen sind. 19:5 Der Koenig aber hatte sein Gesicht verhuellt und rief laut: Mein Sohn Abschalom! Abschalom, mein Sohn, mein Sohn! 19:6 Da ging Joab zum Koenig ins Haus hinein und sagte: Du hast heute alle deine Diener offen beschimpft, die dir, deinen Soehnen und Toechtern, deinen Frauen und Nebenfrauen das Leben gerettet haben. 19:7 Du zeigst ja denen deine Liebe, die dich hassen, und deinen Hass denen, die dich lieben; denn du gabst uns heute zu verstehen, dass dir die Anfuehrer und die Krieger nichts bedeuten. Jetzt weiss ich, dass es in deinen Augen ganz richtig waere, wenn Abschalom noch am Leben waere, wir alle aber heute gestorben waeren. 19:8 Doch nun steh auf, geh hinaus, und sag deinen Leuten einige anerkennende Worte! Denn ich schwoere dir beim Herrn: Wenn du nicht (zu ihnen) hinausgehst, dann wird bis zur kommenden Nacht keiner mehr bei dir sein, und das wird fuer dich schlimmer sein als alles Unheil, das dir von deiner Jugend an bis jetzt zugestossen ist. 19:9 Da stand der Koenig auf und setzte sich in das Tor. Und im Volk wurde bekannt: Der Koenig sitzt im Tor. Da kamen alle Leute zum Koenig. Davids Rueckkehr nach Jerusalem: 19,9b-44 Nachdem die Israeliten geflohen und in ihre Zelte zurueckgekehrt waren, 19:10 stritten sich alle Leute in allen Staemmen Israels und sagten: Der Koenig hat uns aus der Gewalt unserer Feinde befreit, er hat uns aus der Gewalt der Philister gerettet, und jetzt hat er vor Abschalom aus dem Land fliehen muessen. 19:11 Abschalom aber, den wir zu unserem Koenig gesalbt haben, ist im Kampf gefallen. Warum zoegert ihr jetzt, den Koenig zurueckzuholen? 19:12 So redete man in ganz Israel. Und die Nachricht davon drang bis zum Koenig vor [in sein Haus]. Da schickte Koenig David (einen Boten) zu den Priestern Zadok und Abjatar und liess ihnen sagen: Sagt zu den Aeltesten Judas: Warum wollt ihr die letzten sein, die den Koenig in sein Haus zurueckholen? [V. 12 a und b sind sinngemaess umgestellt.] 19:13 Ihr seid meine Brueder, ihr seid mein Fleisch und Bein. Warum wollt ihr die letzten sein, die den Koenig zurueckholen? [Gen 2,23] 19:14 Und zu Amasa sollt ihr sagen: Bist du nicht mein Fleisch und Bein? Gott soll mir dies und das antun, wenn du nicht bei mir fuer alle Zeit anstelle Joabs der Befehlshaber des Heeres sein wirst. 19:15 So machte David sich das Herz aller Maenner in Juda geneigt, so dass sie wie ein Mann zu ihm hielten. Sie sandten dem Koenig die Aufforderung: Kehr zurueck, du selbst und alle deine Diener! 19:16 Da machte sich der Koenig auf den Rueckweg und kam an den Jordan, die Judaeer aber, die dem Koenig entgegengezogen waren, um ihn ueber den Jordan zu geleiten, waren bis nach Gilgal gekommen. [Gilgal: in der Naehe von Jericho (vgl. 1 Sam 7,16).] 19:17 Auch der Benjaminiter Schimi aus Bahurim, der Sohn Geras, eilte herbei und zog mit den Maennern von Juda dem Koenig David entgegen. [(17-24) 16,5-12; 1 Koen 2,8] 19:18 Bei ihm waren tausend Mann aus Benjamin, darunter Ziba, der Diener des Hauses Saul, mit seinen fuenfzehn Soehnen und seinen zwanzig Knechten. Sie waren schon vor dem Koenig an den Jordan gelangt 19:19 und durchschritten die Furt, um die Familie des Koenigs hinueberzugeleiten und alles zu tun, was dem Koenig gut erschien. Als der Koenig gerade den Jordan ueberschreiten wollte, fiel Schimi, der Sohn Geras, vor ihm nieder [und durchschritten: Text korr.] 19:20 und sagte zu ihm: Mein Herr moege mir meine Schuld nicht anrechnen; moegest du nicht an das denken, was dein Knecht sich an dem Tag zuschulden kommen liess, als mein Herr, der Koenig, Jerusalem verliess; der Koenig nehme es sich nicht so zu Herzen; 19:21 denn dein Knecht weiss, dass er gesuendigt hat. Sieh her, ich bin heute als erster vom ganzen Haus Josef hergekommen, um meinem Herrn, dem Koenig, entgegenzugehen. 19:22 Da fragte Abischai, der Sohn der Zeruja: Muesste nicht Schimi dafuer mit dem Tod bestraft werden, dass er den Gesalbten des Herrn verflucht hat? 19:23 David aber sagte: Was habe ich mit euch zu schaffen, ihr Soehne der Zeruja? Warum benehmt ihr euch ploetzlich wie Feinde von mir? Soll heute jemand in Israel getoetet werden, wo ich doch weiss, dass ich ab heute wieder Koenig von Israel bin? 19:24 Und der Koenig sagte zu Schimi: Du sollst nicht sterben. Der Koenig bekraeftigte es ihm mit einem Schwur. 19:25 Auch Merib-Baal, der Sohn Sauls, kam dem Koenig entgegen. Er hatte seine Fuesse und seinen Bart nicht mehr gepflegt und seine Kleider nicht gewaschen seit dem Tag, an dem der Koenig weggegangen war, bis zu dem Tag, an dem er wohlbehalten zurueckkam. [(25-31) 9,6; 16,3f Merib-Baal hat wegen des Ungluecks, das David getroffen hat, getrauert.] 19:26 Als er von Jerusalem aus dem Koenig entgegenkam, fragte ihn der Koenig: Warum bist du damals nicht mit mir weggegangen, Merib-Baal? [von Jerusalem aus: Text korr. (vgl. 9,10f); H: nach Jerusalem.] 19:27 Er antwortete: Mein Herr und Koenig, mein Diener hat mich hintergangen. Dein Knecht sagte zu ihm: Ich will mir die Eselin satteln und mit dem Koenig zusammen wegreiten; dein Knecht ist ja lahm. 19:28 Man hat deinen Knecht bei meinem Herrn, dem Koenig, verleumdet. Aber mein Herr, der Koenig, ist wie der Engel Gottes; darum tu, was dir gefaellt. 19:29 Obwohl das ganze Haus meines Vaters von meinem Herrn, dem Koenig, nichts anderes als den Tod zu erwarten hatte, hast du deinen Knecht unter die aufgenommen, die an deinem Tisch essen. Was habe ich noch fuer ein Recht, den Koenig weiterhin anzurufen? [(29-30) 9,7.9-11] 19:30 Der Koenig antwortete ihm: Warum machst du so (viele) Worte? Ich habe bestimmt: Du und Ziba, ihr sollt euch das Land teilen. 19:31 Darauf sagte Merib-Baal: Er kann auch das ganze nehmen, nachdem mein Herr, der Koenig, wohlbehalten in sein Haus zurueckgekehrt ist. 19:32 Der Gileaditer Barsillai war aus Roglim herabgekommen und mit dem Koenig an den Jordan gezogen, um ihn am Jordan zu verabschieden. [17,27] 19:33 Barsillai war sehr alt, ein Mann von achtzig Jahren. Er hatte den Koenig versorgt, als dieser sich in Mahanajim aufhielt; er war naemlich sehr reich. 19:34 Der Koenig sagte zu Barsillai: Zieh mit mir hinueber, ich will fuer dich bei mir in Jerusalem sorgen. 19:35 Doch Barsillai antwortete dem Koenig: Wie viele Jahre habe ich denn noch zu leben, dass ich mit dem Koenig nach Jerusalem hinaufziehen sollte? 19:36 Ich bin jetzt achtzig Jahre alt. Kann ich denn noch Gutes und Boeses unterscheiden? Kann dein Knecht noch Geschmack finden an dem, was er isst und trinkt? Hoere ich denn noch die Stimme der Saenger und Saengerinnen? Warum soll denn dein Knecht noch meinem Herrn, dem Koenig, zur Last fallen? 19:37 Nur eine kleine Strecke wollte dein Knecht den Koenig zum Jordan begleiten. Warum will sich der Koenig bei mir in dieser Weise erkenntlich zeigen? 19:38 Dein Knecht moechte umkehren und in seiner Heimatstadt beim Grab seines Vaters und seiner Mutter sterben. Aber hier ist dein Knecht Kimham; er mag mit meinem Herrn, dem Koenig, hinueberziehen. Tu fuer ihn, was dir gefaellt. [Kimham ist der Sohn Barsillais; als Untertan Davids ist er dessen Knecht.] 19:39 Der Koenig erwiderte: Kimham soll mit mir hinueberziehen; ich werde fuer ihn tun, was du fuer gut haeltst. Alles aber, was du von mir begehrst, will ich fuer dich tun. 19:40 Darauf zog das ganze Volk ueber den Jordan, und auch der Koenig ging hinueber. Der Koenig kuesste Barsillai und segnete ihn, und Barsillai kehrte in seinen Heimatort zurueck. 19:41 Der Koenig aber zog weiter nach Gilgal, und Kimham ging mit ihm. Das ganze Volk von Juda zog mit dem Koenig, dazu halb Israel. 19:42 Da kamen alle Israeliten zum Koenig und sagten zu ihm: Warum haben unsere Brueder, die Maenner von Juda, dich uns geraubt und den Koenig, seine Familie und alle seine Maenner ueber den Jordan gefuehrt? [Die Israeliten hatten frueher als die Judaeer die Rueckfuehrung des Koenigs geplant; sie fuehlen sich zurueckgesetzt.] 19:43 Alle Judaeer antworteten den Israeliten: Weil der Koenig uns naeher steht. Warum bist du darueber erzuernt? Haben wir denn ein Stueck vom Koenig gegessen, oder ist er etwa von uns weggetragen worden? 19:44 Die Israeliten antworteten den Judaeern: Ich habe zehn Anteile am Koenig, ausserdem bin ich dir gegenueber der Erstgeborene. Warum hast du mich also gering geachtet? War es nicht zuerst mein Wunsch, meinen Koenig zurueckzuholen? Die Antwort der Judaeer hierauf war noch schaerfer als die Rede der Israeliten.