(SZ) Wenn man auf unsere Erde herniedersehen könnte, zeitlich und
   räumlich distanziert, von Gottes Thron aus gleich rechts, dann
   erblickten wir als Summe aller jahresendzeitlichen Leitartikelprosa
   exklusiv im Lande D. eine zutiefst zermorschte Bevölkerung. Welche
   sich, nämlicher Quelle folgend, strikt weigert, das unschuldige
   Zweitausenddrei überhaupt entgegenzunehmen. Dies Neue Jahr vielmehr
   betrachtet wie eine glühende Kartoffel, wie ein ekliges Tier. Des
   Volkes Jammern legt sich schaurig über das Land. Huhuhhuhuhuh.Nachbarn
   ringsumher wundern sich kaum noch. Die Deutschen! Wieder mal in
   Furcht? Ach, die üblichen Selbstmitleidspocken. Hört man dazu den
   russischen Schriftsteller Wladimir Kaminer, der unverständlicherweise
   höchst vergnügt in Berlin lebt, dann ist die deutsche
   Jahreswechselhysterie Ausdruck buchhalterischer Gesinnung. Man macht
   einen Strich, bilanziert zwölf Monate und bibbert, ob's nächstes Jahr
   abermals hagelt. Seine Landsleute hingegen, sagt Kaminer, sähen
   unterdessen zu, wie sie den harten Winter überlebten, unter
   Zuhilfenahme von einigen Gramm Wodka natürlich.

   Nein, so praktisch sind wir nicht. Wir müssen wiederkäuen,
   deutschgründlich und zwanghaft. Wir müssen forschen, was oder wer sich
   davongemacht hat aus dem wohltuend löchrigen Gedächtnis. Aber wo
   anfangen, wo aufhören? War nicht am Anfang Pisa? Hat nicht zugenommen
   seitdem - herrliches Wort! - die Lesekompetenz? Sehen wir nicht Leute
   fleißig buchstabieren, Schnäppchenführer, Horoskope, sogar im
   Streiflicht? Irgendeine Kirchgruppe soll pleite gegangen sein; doch
   berührt uns der Verlust nicht sehr angesichts der schauerlichen Flut
   von Kleinhandels-Insolvenzen, die unwiederbringliche Kulturschichten
   hinwegspülte. Daneben hat es "Fernsehduelle" gegeben, verweht so rasch
   wie Rudolf ("unsere Fähigkeiten") Scharping mitsamt "Gräfin". Auch der
   ist über uns gekommen. Und bleibt. Vom kleinen Rest (Hartz.
   Jahrtausendhochwasser. Amok- "läufe". Schröder von Miniermotte
   befallen) befreit uns eine schicke Amnesie.

   In Berlin übrigens waren Kirchen überfüllt, wie immer in Kriegs-
   (pardon, wir eilen voraus) - in Krisenzeiten. Weil Menschen die Frohe
   Botschaft hatten hören wollen? Welche Frohe Botschaft, würden die
   Kirchgänger fragen. Versuchen wir vorsichtige Vertrauensbildung. Die
   heiße Kartoffel namens 2003 (knackige Bratkartoffeln, das ist abermals
   Deutschen eingefallen, verursachen Krebs) - 2003 also wird ein
   Bibeljahr sein. Und ein Adornojahr. Der Philosoph Woody Allen ruft uns
   zu: Ich hasse die Wirklichkeit, aber es ist der einzige Ort, wo man
   ein anständiges Steak...usf. usf. Unseren Sanierern allerorten
   verdanken wir endlich ein Wahnsinnswort, das alle Abgebauten und
   Nicht-Abgebauten fein umschlingt: Und Kopf hoch, 2003, Humankapital!